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Otto Lilienthal

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Otto Lilienthal - Ein Leben für die Fliegerei

1848 - 1896  

 

Jugend und Ausbildung

Otto Lilienthal wurde am 23.Mai 1848 als 1. Kind von insgesamt acht Geschwistern in Anklam / Vorpommern geboren. Ungesunde Wohnverhältnisse trugen mit dazu bei, daß fünf seiner Geschwister nicht das fünfte Lebensjahr erleben durften. Neben Otto und dem Zweitgeborenen Gustav sind den Eltern nur noch Marie, das sechste Kind, geblieben. Ottos Vater war als Tuchhändler wenig erfolgreich. Otto zeigte früh Talent zum Zeichnen, Modellieren und Schnitzen. Bereits mit 14 Jahren baute Otto mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Gustav Flügel, die man an die Arme schnallen konnte. Die Beobachtung und Erforschung der Vögel war für die beiden schon in ihrer Jugend eine Hauptbeschäftigung. Besonders die Störche hatten es den Beiden angetan. 1864 wechselte Otto vom heimischen Gymnasium auf die Provinzial-Gewerbeschule nach Potsdam. Hier konnte er seine ungewöhnliche technische Begabung voll entfalten. Bereits nach zwei Jahren verließ er diese Schule mit einem ausgezeichneten Examen. Das anschließende Praktikum absolvierte er in der Berliner Maschinenfabrik Schwartzkopff. Danach folgte eine Ingenieurausbildung auf der Gewerbeakademie. Im Herbst 1874 läßt er mit seinem Bruder Gustav selbstentwickelte große Flugdrachen fliegen. Dabei entdecken sie erstmals die Vorzüge leicht gewölbter Flügelflächen.

Ingenieur und Maschinenbauunternehmer

Bevor sich Lilienthal der Konstruktion von Flugapparaten widmete, eröffnete er 1881 als Maschinenbauer eine eigene Werkstatt zum Bau eines Schlangenrohrkessels. Später wurde daraus eine Maschinenfabrik, in der er in den besten Zeiten bis zu 60 Mitarbeiter für die Entwicklung und Herstellung eines patentierten gefahrlosen Dampfkessels beschäftigte. In einem Aufsatz einer Fachzeitschrift verwies Lilienthal darauf, daß allein in Deutschland fast 200 schwere Explosionen mit herkömmlichen Dampfkesseln zu beklagen waren. Zweimal wurde Otto Lilienthal mit der Silbernen Staatsmedaille für gewerbliche Leistungen ausgezeichnet.
Später baute Lilienthal auch patentierte Dampfmaschinen und Dampfheizungen. 1890 bewies Lilienthal ungewohnt soziales Engagement, als er für seine Arbeiter als einer der ersten Unternehmer in Deutschland eine Gewinnbeteiligung von 25 Prozent des Reingewinns einführte. Mitte der neunziger Jahre liefen die Geschäfte aber nicht mehr zufriedenstellend.

Haus und Familie

Nachdem Otto Lilienthal mit seiner Familie fünfmal in Berlin umgezogen ist, wurde er im Jahre 1887 seßhaft. Er erwarb im Berliner Vorort Groß-Lichterfelde in der Boothstr. 17 ein 2500 qm großes Grundstück zum Preis von knapp vier Mark pro qm. Sein Bruder und berühmter Baumeister Gustav Lilienthal entwarf hier ein anspruchsloses einstöckiges aber geräumiges Landhaus mit fünf Zimmern für seine sechsköpfige Familie. In der Nachbarschaft hochherrschaftlicher Villen wirkte es in der Tat wie ein kleiner un- scheinbarer Singvogel unter prächtigen Papageien. Mit einer selbstentwickelten Röhrenheizung unter dem Fußbogen war er seiner Zeit weit voraus. Lilienthal legte beim Hausbau auch sonst unermüdlich selbst Hand an. Zum Garten hin wurde eine geräumige Werkstatt angebaut, an die sich ein großer Rasenplatz anschloß. Hier im Garten, im Windschatten großer Bäume, begann Lilienthal im Frühjahr 1891 seine praktischen Flugversuche. Bis zu vierhundert Mal übte er mit seinem Flügelapparat von einem Sprungbrett aus den Absprung, bevor er sich später im Sprunge dem freien Wind anvertraute. Er hielt sich junge Störche im Garten, an denen er die Flugbewegungen studierte. Nach dem Tod Lilienthals mußte seine Witwe 1902 Haus und Grundstück verkaufen, im zweiten Weltkrieg brannte das Gebäude nieder, in den fünfziger Jahren wurde es wieder aufgebaut, mußte aber Anfang der siebziger Jahre einem Seniorenheim Platz machen.

Erste Flugversuche 1891 in Derwitz

Durch einen zufälligen Besuch in Derwitz, gut fünf Kilometer östlich von Werder, entdeckte Lilienthal seinen ersten Fliegerberg, den Spitzberg. Der baumlose Nordhang erlaubte Absprünge in westlicher und östlicher Richtung. Durch die nahegelegen Eisenbahnstrecke konnte dieser Übungsplatz bequem mit der Bahn erreicht werden. Der verschnürte Flugapparat wurde von der Boothstraße zum heutigen Bahnhof Lichterfelde-West getragen. Am Spitzberg durfte Lilienthal sein Fluggerät in einer nahegelegenen Scheune unterstellen. Fast jeden Sonntag reiste Lilienthal und sein Flugpartner Hugo Eulitz nach Derwitz und übte dort auf den Hügeln abwechselnd an die tausend Mal den Segelflug gegen den Wind. Verstauchte Füße und Arme blieben nicht aus, zumal sich Lilienthal auch bei stürmischen Winden nicht von seinen Flugversuchen abhalten ließ. Durch den glücklichen Zufall, daß just zu dieser Zeit die Momentfotografie erfunden wurde, ist Lilienthal der erste Mensch, der in einem Flugapparat fotografiert worden ist. Später wird allgemein anerkannt, daß Otto Lilienthal in Derwitz 1891 zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit der Menschenflug gelungen und damit der Traum vom Fliegen in Erfüllung gegangen ist. Aber Lilienthal ruhte nicht. Um noch größere Strecken zu durchfliegen, suchte er nach noch höheren Hügeln.


Flugübungen 1892 in Südende

Ein neues Übungsterrain fand Lilienthal auf dem Rauhen Berg in Steglitz, nur zwanzig Gehminuten von seinem Landhaus in der Boothstraße entfernt. Der Rauhe Berg war eine langgestreckte inzwischen weitgehend abgetragene Erhebung zwischen dem heutigen Marienhöhe in Tempelhof und dem Gelände um den Steglitzer Wasserturm.
Lilienthal flog mit einem verbesserten Holmflügelgleiter mit 16 qm Tragfläche von einer 10 Meter hohen Stechwand einer Sandgrube schon bis zu 80 Meter weit. Dieser Flugplatz Lilienthals liegt heute etwa dort, wo sich der langgestreckte Parkplatz des Sommerbads am Insulaner am Munsterdamm befindet. Von der Stechwand war nur ein Abflug in westliche Richtung möglich.
Lilienthal berichtete: "Die vielen Süd- und Ostwindperioden dieses Sommers konnten daher von mir nicht genutzt werden, da
man beim Üben des Segelns stets genau dem Wind zugekehrt sein muß."
Sein Hängegleiter hatte bereits vertikale und horizontale Stabilisierungsflächen, und wurde nur durch die Verlegung des Körperschwerpunktes in der Luft gesteuert. In Flugpausen leisteten ihm manchmal seine Frau Agnes und seine beiden Söhne Gesellschaft.
Die Fliegestation 1893 auf der Maihöhe in Steglitz
Etwa 500 Meter westlich der Sandgrube in Südende, in der Nähe des heute stillgelegten Steglitzer Wasserturms, errichtete Lilienthal im Frühjahr 1893 am Rande eines steilen Abhangs einen turmartigen Schuppen, von dessen Dach er herunter segelte. Der Schuppen diente zugleich zur Aufbewahrung der Flugapparate. Auch hier erlaubte ihm die abfallende Böschung den Absprung nur in westliche Richtungen. Weil der Wind in diesem Sommer meist nur von Ost oder Nord kam, blieb die Fliegestation fast drei Monate unbenutzt. Immerhin gelangen Lilienthal hier Gleitflüge von bis zu fünfzig Metern Weite. Seine Flugapparate hatten jetzt sieben Meter Spannweite, waren wie Fledermausflügel zusammenlegbar und wogen nur 20 kg. Die Konstruktion war jetzt so weit ausgereift, daß er sein erstes Flugpatent erhielt.

Der Flugplatz 1893 in den Rhinower Bergen

Seinen Hauptübungsplatz hatte Lilienthal im Sommer 1893 in die Rhinower Berge verlegt, eine Hügelkette zwischen Rathenow und Neustadt an der Dosse im Havelland. Nur mit Gras und Heidekraut bewachsen waren diese bis zu 60 Meter über den umliegenden Äckern herausragenden Hügel wie geschaffen für Flugversuche mit noch weiteren Luftwegen. Die Abhänge fielen nach allen Richtungen sanft ab und erlaubten den gefahrlosen Absprung aus unterschiedlichen Höhen. Hier gelingen ihm erstmals Flüge von 250 Metern. Für gewöhnlich war er wegen der großen Entfernung nach Berlin nur am Wochenende in das Rhinower Ländchen herausgefahren, wo er im Dorf  Stölln im Gasthof Herms abstieg, und in der benachbarten Scheune die Flugapparate unterstellte. Der Gasthof beherbergt heute eine kleine Ausstellung zum Leben Otto Lilienthals und wurde zu DDR-Zeiten umbenannt. Seit dem heißt der Gasthof "Zum Ersten Flieger". Auf dem Terrain der Rhinower Berge gelang es ihm sogar, durch Körperbewegungen eine Kehrtwendung in der Luft zu vollziehen und gegen den Berg zurückzufliegen. Für seine Flugapparate gebrauchte er vermutlich als erster das Wort "Flugzeug". 10 Jahre später führt es jedes Kind bis heute im Munde.

Der Fliegeberg 1894 in Lichterfelde

Um jede freie Stunde für Flugübungen nutzen zu können, ließ Lilienthal im Frühjahr 1894 auf eigene Kosten seinen Fliegeberg, einen 15m hohen spitzkegeligen Hügel aufschütten. Nur wenige Kilometer von seinem Haus in der Boothstraße gelegen, konnte er hier bequem seine neuen Flugapparate testen, bevor er sie mit hinaus nach Stölln nahm. Lilienthal war hier in der Lage, der Windrichtung entsprechend in jede Richtung abzufliegen, im günstigsten Fall erreichte er Flugweiten bis zu einhundert Meter. Der Hügel, er liegt an der heutigen Schütte-Lanz-Straße, wurde schon bald ein beliebter Ausflugsort für die Berliner. Des Sonntags kamen sie mit Kind und Kegel heraus und schlugen ihr Lager am Fuße des Berges auf. Der "fliegende Mann" wurde bei seinem Erscheinen mit lautem Hallo begrüßt, nach seinem Abflug mit Beifall oder mit abfälligen Bemerkungen bedacht, je nach Länge oder Kürze der Flüge.
Aber auch namhafte Flugtechniker aus dem In- und Ausland haben Lilienthal hier besucht und seine Flugübungen studiert. Hier startete Lilienthal 1894 mit der Erprobung der ersten Flügelschlagapparates und ein Jahr später begannen seine ersten Flug- versuche mit dem Doppeldecker. Damit konnte Lilienthal leichterlenkbare kompaktere Flugapparate bauen, ohne die Tragfläche
zu reduzieren.
Sein Traum von einem doppelt so hohen künstlichen Berg in der Nähe Berlins hatte sich aber nicht mehr erfüllt. Lilienthal wollte damit flugbegeisterte junge Leute für den Flugsport interessieren und ihnen so die Ausübung dieses neuen Sports ermöglichen, weil sein Fliegeberg in Lichterfelde für Laien zu steil war. Er findet aber keinen Gönner, der ihm ein solches Vorhaben finanziert.
Seit 1932 ist der Fliegeberg offizielle Gedenkstätte. Während der feierlichen Einweihung am 10.August 1932 wurde auch eine Bronzebüste Lilienthals enthüllt, die sich heute im Eingang der Lilienthal-Schule an der Ringstraße in Lichterfelde befindet.

Lilienthals künstlerische Neigungen

Otto Lilienthal hatte eine gute Tenorstimme und war Mitglied in der angehsehenen Berliner Singakademie, er spielte mehrere Instrumente und verabschiedete seine Gäste mit einem Stück auf dem Waldhorn. Eines schneereichen Winters überraschte er seine Nachbarn mit einer im Vorgarten modellierten Kolossalbüste vom Reichskanzler Bismarck aus Schnee.
Im Oktober 1892 gründete Lilienthal gemeinsam mit dem Theaterdirektor Max Samst eine Volksbühne in Berlin. Im Ostend-Theater in der Großen Frankfurter Straße, das sie in National-Theater umbenannten, wurden fortan klassische Bühnenwerke zu geringen Eintrittspreisen gespielt. Auch ein Arbeiter müsse es sich leisten können, einmal wöchentlich ins Theater zu gehen, meinte Lilienthal. Das Theater ließ sich trotz ausverkaufter Vorstellungen nicht ohne ständige Zuschüsse halten. Die Kosten konnten etwas gesenkt werden, weil Lilienthal selbst in die Schauspieler-Rollen schlüpfte. Im Jahr 1894 schrieb er ein sozialkritisches Stück mit dem Titel: "Gewerbeschwindel"

Lilienthals letzte Stunden 1896 auf dem Gollenberg

Der Gollenberg erhebt sich fast 90 Meter aus der Ebene und ist damit die höchste Erhebung der Rhinower Berge. Hier sollte ihn sein tragisches Schicksal ereilen.
Der 9. August war ein schöner Sommertag, als Lilienthal zur Mittagszeit seinen ersten Flug an diesem sonnigen Tag unter den Augen vieler Schaulustiger problemlos wie hunderte Flüge zuvor absolvierte. Knapp eine halbe Stunde später war er wieder startklar. Es sollte sein letzter Flug werden. Sein Begleiter berichtete:
"Lilienthal flog ab, und wie er ein Stück geflogen war, steht er oben in der Luft in ungefähr 15 Meter Höhe vollständig still. Und da sehe ich, daß er mit den Beinen hin und her schlenkert, um den Apparat wieder in Bewegung zu bringen. Mit einem Mal kriegt der Apparat eine Neigung nach vorne und saust runter, schlägt auf, und das Unglück war passiert."
Lilienthal wurde zunächst in den Gasthof Herms transportiert, wo er noch bei Bewußtsein war. Seine letzten Worte gegenüber dem eilig aus Berlin herbeigerufenen Bruder Gustav sollen gewesen sein: "Opfer müssen gebracht werden!"
Am nächsten Tag erlag er in einem Berliner Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.
Wahrscheinlich hatte eine Sonnenbö Lilienthal im Fluge überrascht. Sonnenböen werden gefürchtet, weil sich Windrichtung und Windgeschwindigkeit in ihnen blitzartig ändern können. Lilienthal hatte keine Chance, mit seinem Fluggerät aus ihr herauszukommen, ohne Schaden zu nehmen. Er wurde so das Opfer einer ihm unbekannten und unberechenbaren Laune der Natur.

Am 14.August 1896 wurde Otto Lilienthal in Sichtweite seines Lichterfelder Fliegeberges auf dem Friedhof Lange Straße zu Grabe getragen. Viele hundert Menschen erwiesen Lilienthal die letzte Ehre.
Am 17. Juni 1914, wenige Wochen vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, wurde am Teltowkanal, in Höhe der heutigen Bäkestraße, für die Verdienste Otto Lilienthals um die Entwicklung der Flugtechnik das erste Fliegerdenkmal Deutschlands und vermutlich auch der Welt feierlich eingeweiht.

Im Sandsteinsockel ist ein Ausspruch Leonardo da Vincis eingemeißelt: Es wird seinen ersten Flug nehmen der große Vogel vom Rücken des Hügels aus.
Das Universum mit Verblüffung alle Schriften mit seinem Ruhme füllend.
Und ewige Glorie dem Ort wo er geboren ward.

Einweihung des Lilienthal-Denkmals am 17. Juni 1914

Quelle: Werner Schwipps   Lilienthal   Arani-Verlag1979